Urlaubsreif – Anke Röder & Mike Raese

Ich bin sowas von urlaubsreif

Mit diesen Worten begrüßte mich eine ehemalige Arbeitskollegin und Freundin zum Abendessen letzte Woche. „Du kannst Dir nicht vorstellen, was bei mir auf der Arbeit gerade los ist. Viel zu viel zu tun, zu wenig Leute und dann die ganze schlechte Stimmung. Aber Du weißt ja wie das ist… Aber zum Glück habe ich nächste Woche Urlaub. Die brauche ich auch.“

Ich kann sie verstehen. Sofort kommt mir ein Kalenderspruch in den Sinn, den ich mal durch Zufall entdeckt habe. „Ich sehne mich nach einem Leben, von dem ich nicht dauernd Urlaub brauche.“ Wie wahr und wie viele Menschen würden das ohne Zögern so unterschreiben?

Aber schauen wir doch mal genauer hin. Wovon müssen wir uns eigentlich so dringend erholen? Von unserem Berufsleben, dem Alltag, den Menschen? Den Verpflichtungen, der Reizüberforderung oder gar einfach von uns selbst? Und warum scheint im Urlaub einfach alles besser und schöner zu sein? Und warum haben die Menschen aus früheren Zeiten und Generationen nicht dieses Bedürfnis ständig aus dem eigenen Leben zu fliehen?

Sicherlich führen alle eben aufgezählten Lebensbereiche zu dieser Urlaubs-Flucht. Viele Dinge konzentrieren sich ja auch wesentlich mehr auf eine immer kürzer werdende Zeitspanne. Heutzutage ist man mit Ende 20 fertig mit dem Abitur, dem Studium und beginnt gerade in der Berufswelt durchzustarten. Also Karriere machen. Dazu kommt aber, dass man gerade als Frau genau in diesem Alter auch in die fruchtbarsten Jahre kommt. Karriere und Kinder? Klar, die heutige Powerfrau bekommt das alles unter einen Hut. Ach ja und ein Eigenheim gehört natürlich gerade in ländlichen Gegenden sowieso zum Status Quo. Der bereits bestehende Lebensfrust wird somit noch um den Nestbau erweitert. Natürlich will man in der Hausfrauenliga auch ganz weit oben mitspielen. Haus und Garten haben stets gepflegt und sauber zu sein. Und daneben will man sich selbst und dem Mann an seiner Seite auch noch gerecht werden. Fassen wir also nochmal zusammen:

Die moderne Frau von heute ist eine beruflich erfolgreiche, kinderfreundliche Hausfrau mit wahnsinnig geschickten Fähigkeiten, um spielend alle Herausforderungen des Lebens zu meistern. Und die Erledigung all dieser Aufgaben darf keinesfalls angestrengt oder bemüht wirken. Alles geht einem leicht von der Hand. Toll, wer dies ehrlich und aufrichtig vor sich selbst unterschreiben kann. Aber können wir das?

Versuchen wir nicht ehrlicherweise uns bei diesem Pensum mit den bevorstehenden Urlauben über Wasser zu halten? Und ist es hier nicht auch so, dass man zurück liegenden Urlaub irgendwie überbieten muss, um mit den anderen mithalten zu können? Schnell stellen wir fest, kaum, dass wir aus dem Urlaub zurück sind, dass wir uns bereits nach dem nächsten Urlaub sehnen?

Und finden wir jemals einen Weg aus dieser Spirale von Erwartungen, Wünschen und Erfüllungen? Ich denke, hier gibt es keinen allgemein gültigen Weg für alle. Jeder muss für sich einen ganz individuellen Weg finden, wie er sein Leben gestalten möchte. So individueller wir sind, umso maßgeschneiderter muss auch eine Lösung sein. Im privaten wie im beruflichen Umfeld.

Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass man sich bei der Suche nach einem Leben ohne ständige Urlaubsflucht zu allererst auf den Weg nach sich selbst machen muss. Was möchte ich? Was kann ich gut? Was ist mir wichtig? Es ist tatsächlich nicht einfach, sich bei der Suche nach sich selbst, sich nicht zu verlieren. So viele Einflüsse von außen, die tagtäglich auf uns einprasseln und uns vor sich her treiben. All dies abzuschneiden und sich selbst in den Fokus zu stellen, muss man oftmals neu erlernen. Nicht jede Erkenntnis auf diesem Weg ist schön, teilweise ist es auch erschreckend, sich so kennenzulernen. Aber letztlich findet man damit den Kern seiner Persönlichkeit und kann sich dadurch ein Leben aufbauen, aus dem man nicht in den Urlaub fliehen muss.

Aus tiefster Überzeugung und eigener Erfahrung kann ich Dir eins versichern: Die Reise zu sich selbst lohnt sich, vieles wird wieder einfacher und klarer und vor allen Dingen weniger anstrengend. Man ist sortierter und fühlt sich sowohl im Berufs- als auch Privatleben nicht so verloren. Man entscheidet sich bewusster und mit jedem Tag auch immer für sich selbst. Und Urlaub? Ja, Urlaub gehört weiter zum Leben dazu. Er ist nach wie vor etwas tolles und eine schöne Ablenkung, aber nicht mehr wie früher die rettende Insel ohne die man ertrinken würde.

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